New York, die zweite

Vor lauter Begeisterung stehe ich schon um sechs Uhr auf, Frühstück gibt’s hier sowieso nicht, und laufe zum Central Park.

Diese Stadt schläft tatsächlich nie, ich bin schwer erstaunt über die vielen frühen Jogger. So was würde mir im Nicht-Urlaub nicht einfallen, im Urlaub eigentlich auch nicht.
Ich gehe langsam, rauche verstohlen eine Zigarette, rufe Mama im fernen Europa an und versuche, ein paar Frühtau-Stimmungsbilder einzufangen.

Das dort müsste die Straße sein, über die Gregory Peck im Film „Die 27. Etage“ rannte, sein Verfolger, ein Böser natürlich, wurde dann auf unschöne Weise totgefahren.
Es ist tatsächlich nicht leicht, dort rüberzukommen, genauer gesagt ist es eigentlich relativ unmöglich. Gregory Peck wurde letztlich 87 Jahre alt. Ich persönlich plane etwas Ähnliches, also bleibe ich erst mal auf der Nordseite des Parks.

Zum Frühstück muss eines der unzähligen Bagel-Cafés herhalten. Meine kluge (belesene) Begleiterin weiß, wo es die besten Bagels der Stadt gibt, es ist recht nah. Und weithin bekannt als der Ort, an dem es die besten Bagels der Stadt gibt, es ist nämlich ziemlich voll dort.
Da muss man halt durch, wenn man die besten Bagels der Stadt essen will, und vermutlich waren es sogar die besten Bagels der Stadt, mein letztes aß ich vor Jahren in Prag, weil auch dort das Hotel kein Frühstück bot, und ob es besser oder schlechter war, weiß ich jetzt gar nicht mehr. Ein Bagel halt.

Und jetzt mal „in die Stadt“ runter. Runter, weil es nach Süden geht, und runter, weil es sinnigerweise „Downtown“ heißt. Eine kleine Orientierungshilfe an den U-Bahn-Schildern.
Orientierungsprobleme gibt es aber, wenn man nach den verwinkelten U-Bahn-Gängen die Straße erreicht hat: Die Querstraßen von Broadway, Fifth oder Lexington, was auch immer, sind nett durchnummeriert, nach Süden absteigend. Eigentlich kein Problem, so z.B. die 34th zu finden, wenn man z.B. an der 39th steht. Aber wo ist Süden? Mein genialer Outdoor-Instinkt aus den bayerischen Alpen versagt. Die Häuser sind so unfassbar hoch, dass man die Sonne nicht sieht.

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Äääh … wo entlang jetzt?

Das Shopping-Gen meiner Begleiterin führt sie jedoch traumwandlerisch zum Kaufhaus „Macy’s“, was zufällig z.B. an der 34th liegt. Der Konsumtempel schreckt mich etwas ab, ich versuche statt dessen, das nahe Empire State Building zu finden.

Gar nicht so leicht, selbst wenn man direkt davorsteht. Die neue Fassadenverkleidung gefällt mir nicht, aus Trotz gehe ich nicht hinein. Vielleicht sollte ich weniger alte Filme schauen. Mit Cary Grant verbindet mich zwar gewisse Ähnlichkeit, mehr noch als King Kong, aber meine Deborah Kerr shoppt bei „Macy’s“. Was also soll ich da oben?

Eher schon einen Blick in die Grand Central Station werfen, ist umsonst und eindrucksvoll. Eine Bahnhofs-Kathedrale, von der sich Berlin mal eine Scheibe abschneiden könnte. Der Anhalter Bahnhof ist ja nur noch ein Ruinen-Fragment, woran aber, das muss man fairerweise sagen, nicht Berlin schuld ist, sondern der „größte Feldherr aller Zeiten“.

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Großer Bahnhof. Aber hallo!

Das gehört aber gar nicht hierher, zumal wir Deutsche trotz unserer bewegten Geschichte überall freundlich, ja herzlich behandelt werden. Der New Yorker freut sich überall, uns hilflosen Personen helfen zu können. Wobei es „den“ New Yorker, abgesehen vielleicht von Walter Matthau, gar nicht gibt. So viele nette Menschen aller Nationen kann man nicht mal am Kottbusser Tor sehen. Wobei die auch nicht alle nett sind.

Äußerst unnett kommt uns dann nur noch ein Besuch eines Lokals am Broadway vor. Einer rasch erworbenen Gewohnheit folgend, steigen wir an der 76th aus, um weltmännisch, Verzeihung, Frau Hiob, also weltmenschlich zur 97th hochzuschlendern. Durst. Ein Weinchen, ein Bier könnte her. Gehen wir doch mal rein.

Ein hübsches Tischchen am Fenster ist frei, wir setzen uns. Erst dann bemerke ich das kleine Schild am Eingang „Sie werden platziert“. Nanu, DDR? 
Egal, nun ist es zu spät, der Fehler ist gemacht, die Kellnerin ignoriert uns zur Strafe.

Erst der Wirt erbarmt sich, schickt sie zu uns. Begeistert ist sie nicht, nimmt aber die Bestellung auf. Dann passiert lange nichts.
Der Wein ist nicht der versprochene kalifornische Hauswein, sondern ein Franzose, dem Urteil meiner Begleiterin nach eine widerliche Brühe, zudem noch teurer als geschrieben. Mein Bier kommt in einer Flasche auf den Tisch, die Bitte nach einem Glas wird ignoriert, bis wieder der barmherzige Chef eines herüberreicht.

Überraschung dann beim Zahlen: „Sind Sie aus Europa? Aus Deutschland?“, fragt die Kellnerin. Arglos bejahe ich. Darauf wird dann eine Extra-Gebühr von ca. 3 Dollar fällig. Widerwillig erklärt sie mir diverse „Taxes“ und „Agreements“, die die Rechnung für ein Glas Wein und eine Flasche Bier ziemlich happig werden lassen.
„Möchten Sie nicht noch einen Tip dazuschreiben?“, fragt sie frech. „Nee, ganz sicher nicht“, fauche ich, ziehe meine Begleiterin hinaus und bedanke mich für den „nice joke“.
Sie ruft uns auf der Straße hinterher, dass wir nicht wiederkommen sollen.

Wie schade. Das wollten wir doch eigentlich jetzt jeden Tag, morgens, mittags und abends. Na, denn nicht.

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Man kann hier rein. Aber man muss es nicht

Es gibt außer „Cleopatras Needle“, deren Stiche schmerzten, hervorragende andere, und sehr viele, Lokale in der Upper West Side. Wer mir folgen will, und zwar nicht nur auf diesem Blog, empfehle ich einen Besuch der Amsterdam Avenue.
Wenn ich schon ein Lokal namentlich verreiße, gebietet es, das dortige „Guacamole“ lobend zu erwähnen. Gigantische Portionen mit entsprechender mexikanischer Schärfe.

 

Poooh, what a day. Auch wenn New York niemals schläft, wir müssen es mal wieder. Auch morgen wird die Stadt noch da sein.

Und sie ist riesengroß.

4 Gedanken zu “New York, die zweite

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